



























































Immer diese Schweden, wiederholte Niederlagen im Eishockey, im Curling, im Unihockey, neu auch im Fussball: “Same procedure as every year, James”… langsam aber sicher beginnt sich in unseren Köpfen ein Schwedenkomplex festzusetzen. Aber… irgendwann müssen und werden wir sie besiegen, auch wenn es “nur” im Fliegenfischen sein wird, irgendwann, irgendwo.
Wieso nicht heute, im Viertelfinale an der U20-WM? Unsere Jungs haben bisher begeistert und bei den Schweden fehlen mit Rasmus Dahlin das weltbeste Verteidigertalent einerseits und mit Timothy Liljegren der nächstbeste – oder mindestens einer der nächstbesten - Offensivverteidiger in der Schwedischen Juniorenpipeline andererseits. Zudem ist das schwedische Kader durch einen ab- und ausstossenden Magen-/Darminfekt geschwächt, die halbe Mannschaft verbringt mehr Zeit auf der Toilette als auf dem Eis. Weiter gilt es zu beachten, dass die Offensivkraft bei den schwedischen Stürmern in den aktuellen U20-Jahrgängen überschaubar ist. Zeit somit, den Schwedenkomplex abzustreifen und zu zeigen, dass wir im Eishockey mittlerweile auf Augenhöhe mitspielen und sie auch in wichtigen Spielen besiegen können. Ob wir tatsächlich auf Augenhöhe mit den Schweden sind, dies wird Gegenstand meiner nächsten Kolumne in ca. einer Woche sein. Jetzt aber zurück zum heutigen Gegner, wie stark ist die schwedische U20-Auswahl 2018/2019?
Wie gesagt, Dahlin und Liljegren fehlen und damit erhebliche Kreativ- und Offensivkraft von den Verteidigern. Wer jetzt aber glaubt, dass wir damit bereits bei den Schwächen der diesjährigen SWE-U20-Auswahl angelangt sind der irrt, denn es ist unglaublich aber wahr, die Schweden haben mindestens drei weitere hoch talentierte Verteidiger mit Weltklasse-Offensivpotenzial im aktuellen Roster. Auffallend ist, dass alle diese drei kleiner als 6 Fuss (184cm) sind und somit vor noch nicht allzu langer Zeit keinesfalls dem Prototyp eines NHL-Verteidigers entsprochen hätten. Heute ist das anders und Offensivverteidiger wie die fehlenden Dahlin, Liljegren, oder aber die in an der U20 WM teilnehmenden Boqvist, Brannström und Sandin sind exakt das, was die neue NHL sucht: Kreative, mutige Verteidiger mit hoch entwickelten Skating- und Handskills. Hinzu kommen bei den Schweden solides Goaltending, ein bislang gut funktionierendes Powerplay und immerhin mittelmässige Feuerkraft bei den Stürmern. Wenn wir auf hohem Niveau Kritik anbringen wollen dann ist es bei der durchschnittlichen Stürmerqualität. Es finden sich im diesjährigen Kader keine Kaliber wie z.B. Elias Pettersson oder Filip Forsberg. Zudem tun sich die schwedischen Stürmer bis jetzt schwer, sich im Slot durchsetzen zu können; die Net-Front-Präsenz dürfte besser sein. Weiter hat sich das schwedische Boxplay an dieser WM noch nicht wirklich bewährt; dies könnte wichtig werden in diesem Viertelfinale, denn das SUI-Powerplay funktionierte bis jetzt recht gut!
Trotzdem: Der langen Worte kurzer Sinn: Obwohl Dahlin und Liljegren fehlen und der lästige Darm-Käfer nervt, ist das “Durchfallen” der diesjährigen schwedischen U20-Truppe längst nicht besiegelt. Sie sind gegen uns noch immer in der Favoritenrolle.
Im Tor erwarte ich, dass Samuel ERSSON gegen die Schweiz spielen wird. Eriksson-EK war zwar vor der WM deren nominelle Nr.1 aber Ersson hat ihm vermutlich den Rang abgelaufen. Ersson ist ein sehr kompetitiver Goalie der sich auch durch unvorhergesehene Widerwärtigkeiten nicht aus dem Konzept bringen lässt und der einen so genannten Hybrid-Butterfly-Stil spielt. Er ist ein technisch gut ausgebildeter Torwart mit nur kleinflächigen Bewegungen und gutem Spielverständnis. Er kommuniziert auch gut mit seinen Vorderleuten. Die Schwächen? Seine Reboundcontrol ist verbesserungswürdig und im engen Verkehr ums Tor könnte er hin und wieder noch etwas geduldiger agieren. Den Schweizern empfehle ich darum, viele Schüsse aufs gegnerische Tor zu provozieren und unsere Powerforwards (z.B. Eggenberger) sollen wie eine Eiche im Slot stehen und auf Rebounds spekulieren.
Erik BRANNSTROM, Verteidiger, ist Captain der Schweden. Er hat gute Eishockeygene denn sein Vater war ebenfalls Eishockeprofi und hat in Schweden und in Deutschland gespielt. Brännström spielte bis jetzt ein herausragendes Turnier und ist für mich bis zu diesem Zeitpunkt der beste Verteidiger dieser WM. Er findet aktuell die richtige Balance zwischen Angrif und Verteidigung und strahlt sehr viel Selbstvertrauen aus. Brannström ist ein sehr intelligenter Spieler mit einem guten Schuss, guten Handskills und exzellenter Mobilität. Er erinnert im Stil an den Flyers-“Ghost”, Shayne Ghostisbehere. Brannström muss an seiner Explosivität weiter arbeiten und in einigen Szenen versuchen, das Spiel einfach zu halten, manchmal will er zu viel. Er spielt in der AHL in dieser Saison eine bisher herausragende Rolle und es ist nur eine Frage der Zeit bis er einen prominenten Platz in der Vegas Golden Knights Verteidigung einnehmen wird.
Gegen die Finnen trifft Brannstrom zum 1:0:
Adam BOQVIST, Verteidiger, wurde von den Chicago Blackhawks gedraftet und ist der noch unreifste der jungen schwedischen Verteidiger, gleichzeitig aber auch derjenige mit dem vermutet höchsten so genannten “Upside”, d.h. wenn alles passt, dann wird er auf dem Höhepunkt seiner Karriere der Beste sein mit Ausnahme von Dahlin. Boqvist ist wie Brännström ein Spieler mit ausgeprägtem Hockey-IQ. Seine Passqualität ist bereits jetzt Weltklasse, sein Skating und seine Schussqualität sind ebenfalls sehr gut wie auch sein Positionsspiel. Boqvist hat noch einen unreifen Body und muss physisch viel arbeiten, so dass er von den gegnerischen Powerforwards nicht über den Haufen gefahren werden kann. Auch sein grundsätzliches Defensivverhalten gehört zu den latenten “Baustellen” bei Adam Boqvist. Sein Stil erinnert an Erik Karlsson.
Rasmus SANDIN, Verteidiger, spielt aktuell bei den Toronto Marlies in der AHL, dem Farmteam der Maple Leafs und zeigt hervorragende Leistungen. Er ist auf dem Sprung ins NHL-Team und ich erwarte einen Stammplatz für ihn bei den Maple Leafs ab der nächsten Saison. Sandin hat ebenfalls Offensivqualitäten, ist aber von den Genannten am ehesten ein Zweiwegverteidiger. Seine Passqualität und seine kompetitive Art sind seine beiden herausragenden Stärken. Er liest das Spiel sehr gut und hat auch sein Skating, speziell seine Kantentechnik, jüngst verbessert. Sandin erinnert in seinem Spielstil ein wenig an Duncan Keith.
Emil BEMSTROM, Stürmer, ist ein so genannter “Late Bloomer”. Noch vor zwei Jahren hat kaum jemand von ihm gesprochen, aber er hat in den letzten Monaten sehr grosse Fortschritte erzielt und ist mit Djurgardens IF auf dem Weg zu einer 20-Tore-Saison und dies mit erst 19 Jahren! Der Columbus Blue Jackets Draftpick spielt nicht sehr auffällig. Er ist ein reiner Skorer, ein “pure shooter”. Er läuft aber auch gut Schlittschuh, zeigt gute Mobilität sowie weiche und schnelle Hände. Bemström ist aktuell der Goalscoring-Leader in der schwedischen SHL; seine Lernfähigkeit ist eindrücklich!
Isac LUNDESTROM, Stürmer, ist ein Zweiwegcenter mit sehr gutem Hockeysense, kompetitiv, setzt seinen Körper zu seinem Vorteil ein und auch sein Passing und sein Skating sind gute “Assets”. Er kann die Scheibe sehr gut abdecken und steht sehr stabil auf den Schlittschuhen. Seine Schussqualität ist mittelmässig und er dürfte betreffend Aggressivität oder so genanntem “Grit” noch eine Schippe zulegen. Lundeström ist in allen drei Zonen auf dem Eis, mit und ohne Puck, ein sehr zuverlässiger Spieler der auch viel Stolz für die unscheinbaren kleinen Dinge mitbringt.
David GUSTAVSSON, Stürmer, ist ein weiterer Zweiwegcenter mit sehr gutem Hockeysense und überdurchschnittlichen Werten im Bullykreis. Er ist physisch bereits sehr reif und zeigt vor allem im Defensivverhalten und im Boxplay sehr gute Qualitäten. Ein Charakterspieler, ein wahrer Krieger, sehr gut in den Ecken und entlang der Bande, er deckt die Scheibe gut ab und nutzt hierzu seine langen Hebel. Gustavsson ist nicht besonders kreativ und auch sein Skating und die Schussqualität sind noch verbesserungswürdig.
Thomas Roost ist seit 1996 NHL-Scout für den zur NHL gehörenden Central Scouting Service und seit 2010 Scout für den EHC Biel. Hauptberuflich ist er als CHRO und Mitglied der Konzernleitung in einer internationalen Touristikfirma mit weltweit 1500 Mitarbeitenden tätig. Thomas leistet sich eine eigene Meinung und freut sich immer sehr über Reaktionen zu seinen Beiträgen die zur Diskussion Anlass geben sollen. Er pflegt auch mit viel Spass seinen Twitter-Account @thomasroost.