



































































































Es ist viel zu früh, Bilanz zu ziehen, viel zu früh für seriöses, professionelles Lob oder entsprechender Kritik an Spielern und Coaches. Ich bewege mich aber mit meiner Kolumne in der Welt der Medien und wenn man den Entscheidungsträgern dieser Branche Glauben schenken darf, dann sind solche – verfrühten – «Analysen», Lobgesänge und Kritik exakt das, was die Medienkonsumenten vorfinden wollen. Die Leser wollen «Wahrheiten», Einschätzungen und Urteile, auch wenn hierfür die Voraussetzungen noch gar nicht gegeben sind.
Wie geschrieben, als Kolumnist beuge ich mich diesem Verlangen, dieser offensichtlichen Gier nach vermeintlichen «Wahrheiten», nach Einschätzungen und Analysen, die aufgrund von viel zu wenigen Beobachtungen und Daten erfolgen und demnach hoch spekulativ sind. Ok, legen wir los, welches sind meine ersten scheuen Beobachtungen der noch sehr jungen Eishockeymeisterschaft...
Erneut spielen die Draftees – das sind diejenigen jungen Talente, die 2021 erstmals im NHL-Draft gezogen werden können – in unserer Liga bis jetzt keine Rolle. Die aus Sicht einer frühen Betrachtung meist versprechenden Talente Lorenzo Canonica (HC Lugano) und Noah Meier (ZSC Lions) kommen in der National League (noch) nicht zum Zug. Dies ist doch einigermassen erstaunlich, weil mindestens diese beiden Talente in der Beurteilung der meisten NHL-Scouts ziemlich hoch angesehen sind einerseits und weil andererseits in den europäischen Topligen regelmässig mehrere Draftees zum Einsatz kommen.
In Finnland spielte zum Beispiel das erst für den NHL-Draft 2022 berechtigte Talent Brad Lambert bereits in der letzten Saison in der finnischen Top-Liga und in dieser Saison ist er bereits in einer wichtigen Rolle etabliert. Auch in Schweden spielen regelmässig Draftees bereits in der Top-Liga. Liegt diese Ablehnung in unserer Liga daran, dass das Niveau bei uns höher ist als in Finnland und Schweden und dass darum unsere Toptalente den Sprung noch nicht schaffen? Wohl kaum, denn eine Resultatanalyse der letzten Champions Hockey League Resultate zeigt, dass unsere Liga – trotz besserer Importspieler – nach wie vor eher schwächer einzustufen ist.
Liegt es daran, dass unsere Toptalente weniger gut sind als die Toptalente in Finnland und Schweden? Ja, das ist sicher ein Grund, aber nicht der einzige. Liegt es daran, dass unsere Entscheidungsträger wesentlich konservativer mit unseren Toptalenten verfahren als in den Topnationen? Ja, auch dies ist Teil der Antwort. Alles in allem beurteile ich diese zögerliche, übervorsichtige Behandlung unserer Toptalente als unvorteilhaft. Dies auch aus einem anderen als dem rein sportlichen Gesichtspunkt. Wenn die Clubs aggressiver und mutiger unsere Toptalente einsetzen würden; dies hätte auch einen kleinen positiven Effekt auf die (zu) hohen Payrollkosten, die ja allenthalben beklagt werden.
Erneut sind es vor allem die Importspieler, die in einer ersten Phase der Meisterschaft die Skorerlisten dominieren. Circa zwei Drittel der Top-20 Spieler in der zugegebenermassen noch sehr jungen Skorerliste sind nicht für die Schweizer Nationalmannschaft spielberechtigt.
Bereits früh in der Saison zeichnet sich eine immer wiederkehrende Tendenz ab: Die budgetschwächsten Teams (z.B. Langnau und Ambri) tendieren klar gegen das Tabellenende, während budgetstarke Teams (z.B. Zürich und Zug) sich mehr oder weniger locker im Bereich der Tabellenspitze wiederfinden.
Gibt es unter den jungen Spielern Aufsteiger in diesen ersten Spielen? Spieler, die den sogenannten nächsten Schritt getan haben, oder – vorsichtig ausgedrückt – nahe daran sind, den nächsten Schritt zu tun, respektive Anzeichen erkennen lassen, dass sie ihre sehr gute Frühform über die gesamte Saison konservieren können? Ja, die gibt es: Allen voran Janis Jérome Moser, der Bieler Verteidiger.
Zweimal wurde er im Draft bereits übergangen und ich wage zu behaupten, dass dies von einigen NHL-Franchises noch bereut werden wird. Ich bin gespannt, welches NHL-Team sich im Juni 2021 die Rechte an ihm sichert. Moser hat sich vom soliden, etwas risikoscheuen, smarten Puckmover mit tiefer Fehlerquote hin zu einem vielversprechenden Zweiwegverteidiger entwickelt, der jetzt auch entscheidende Offensivimpulse zu bieten hat. Zudem hat er auch körperlich gut zugelegt, ist selbstbewusster geworden und dies alles ohne seine smarte Entscheidungsfindung, ohne sein unauffällig solides, effizientes Spiel zu vernachlässigen.
Ebenso Fortschritte meine ich beim Zuger Stürmer Yannick Zehnder und beim Davoser Luca Hischier zu erkennen, wie auch beim Fribourger Sandro Schmid. Auch der nicht mehr ganz junge Österreicher mit Schweizer Lizenz, Fabio Hofer, zeigt, dass er im Stande ist, noch einmal einen Schritt nach vorne tun zu können. Erste Ansätze für einen Leistungssprung sind auch bei Mika Henauer (SC Bern), Justin Siegrist (ZSC Lions). Jeremi Gerber (SC Bern) und Marco Lehmann wie auch Nando Eggenberger (beide Rapperswil Jona Lakers) zu erkennen. Allerdings glaube ich nicht, dass ausser Janis Moser einer der anderen Genannten bereits auf dem Niveau angelangt ist, um für den NHL-Draft doch noch in Frage zu kommen; da muss noch mehr kommen.
Diese Aufzählung ist nicht vollständig, denn noch sind zu wenige Spiele absolviert, das heisst ich habe noch nicht von allen Spielern genügend viele Spiele gesehen, um diese Aufzählung als wenigstens meinerseits verbindlich deklarieren zu können. Aber ein erster Hauch von Eindrücken ist es allemal.
Thomas Roost ist seit 1996 NHL-Scout für den zur NHL gehörenden Central Scouting Service und seit 2010 Scout für den EHC Biel. Hauptberuflich ist er als CHRO und Mitglied der Konzernleitung in einer internationalen Touristikfirma mit weltweit 1500 Mitarbeitenden tätig. Thomas leistet sich eine eigene Meinung und freut sich immer sehr über Reaktionen zu seinen Beiträgen die zur Diskussion Anlass geben sollen. Er pflegt auch mit viel Spass seinen Twitter-Account @thomasroost.