Warum die Plus/Minus-Statistik oft trügerisch ist – und wie man sie aussagekräftiger gestalten könnte.
Aufmerksame Leser meiner Kolumnen wissen, dass ich in diesen Breitengraden ein früher und bis heute leidenschaftlicher Kritiker der unsäglichen Plus/Minus-Statistik bin. Was erfreulich ist, mittlerweile gibt es auf diesem Planeten kaum mehr relevante Eishockeyexperten, welche die Plus/Minus-Statistik ernst nehmen. In vielen Medienpublikationen wird sie aber immer noch regelmässig publiziert.
Dies ist irgendwo auch verständlich, denn das Zielpublikum dieser Publikationen sind nicht Mathematiker oder studierte Statistiker, sondern die 08/15-Eishockeyfans – und die wollen mit einfach verständlichen und leserfreundlichen Informationen versorgt werden.
Zusammenfassend hier noch einmal die Gründe und zwei, drei Augen öffnende Beispiele, die zeigen, dass die heute gültige Plus/Minus-Statistik nichts taugt:
- Diese Statistik wird immer stark durch die Teamstärke und durch den situationsbezogenen Einsatz der Spieler beeinflusst. Zudem ist keine Statistik derart grossen Fluktuation unterworfen wie diese; und dies nicht nur von Saison zu Saison, sondern von Monat zu Monat.
- Der Name «Plus/Minus-Statistik» ist zudem irreführend, denn für diese Statistik werden nicht nur alle Plus- oder Minustore bei nummerischem Gleichstand gezählt. Nein, wenn ein Spieler im Powerplay auf dem Eis steht und sein Team erzielt ein Tor, dann kriegt er kein Plus, dafür aber ein Minus, wenn sein Team in Überzahl einen Shorthander kassiert. Umgekehrt erhalten die Spieler des Shorthanded-Teams kein Minus, wenn sie ein Tor kassieren, dafür aber ein Plus, wenn sie einen Shorthander erzielen. Dasselbe gilt bei Empty-Net-Situationen.
- All dies führt zu bizarren, irreführenden statistischen Werten. Folgende Beispiele zeigen dies: Alex Ovechkin, der beste Goalscorer der Liga, wird in der Plus/Minus-Statistik über die vergangenen acht Jahre lediglich mit +2 geführt. Dies indiziert, dass Ovechkin defensiv schwach arbeitet. Wenn wir aber nur die Werte bei 5vs5 anschauen, dann steht Ovie mit +48 zu Buche. Er ist ein Opfer, weil er unglaublich viel Powerplayzeit bekommt und dadurch bei vielen Shorthandern eine -1 kassiert und wenn sein Team in den letzten Minuten mit einem oder zwei Toren im Rückstand liegt, auch dann steht Ovechkin meistens auf dem Eis – weil er schlicht der beste Offensiv-Spieler ist – und kassiert dann bei Empty-Nettern ebenfalls eine -1.
Es gibt viele solche Beispiele mit derart krassen Unterschieden zwischen 5vs5 und dem ausgewiesenen Plus/Minus-Wert (Phil Kessel, Brent Burns, John Tavares, Taylor Hall, Ryan O’Reilly «and you name it»). Es gibt aber auch die ebenso in die andere falsche Richtung weisenden Gegenbeispiele. Zum Beispiel Ron Hainsey: Seine Plus/Minus-Werte sind ausgeglichen über die letzten Jahre und auf den ersten Blick ist dies eine erstaunlich positive Zahl, wenn man zudem berücksichtigt, dass Hainsey seine Shifts oft in der Defensivzone beginnt und nicht zu selten gegen die Top-Units des gegnerischen Teams eingesetzt wird. Die viel wahrscheinlichere Wahrheit zeigt uns aber ein komplett anderes Bild. Hainsey steht bei 5vs5 mit -33 zu Buche. Aber dadurch, dass er selten im Powerplay, dafür aber oft im Boxplay eingesetzt wird, verfälscht sich die Plus-Minus-Statistik zu seinen Gunsten.
Niklas Hjalmarssons Zahlen werden bei dieser Betrachtung von +79 auf +8 revidiert. Und noch ein Beispiel eines Topskorers: Der Nr.1-Scorer, Leon Draisaitl, wird in dieser Saison mit hässlichen -7 gelistet, bei Gleichstandsituationen weist er aber +7 auf; «dank» seinen vielen Einsätzen im Powerplay und bei Empty-Net-Situationen wird seine Statistik zu seinen Ungunsten markant verfälscht.
Das Schöne bei alledem, es gibt eine einfache Lösung: Wir eliminieren sämtliche Empty-Net- und Special-Team-Tore aus der Statistik und zählen nur noch Tore bei nummerischem Gleichstand. Dies würde dazu führen, dass wir eine leser- und fan-freundliche Statistik zur Verfügung hätten, die wenigstens ein klein wenig mehr über die Qualität der Spieler aussagt, als die jetzt oft publizierte und irreführende Plus/Minus-Statistik.
Ich bin überzeugt, dass dies die NHL sehr bald bei ihren offiziellen Kanälen ändern wird und dann wird Europa nachziehen. Wieso sind wir nicht wenigstens einmal schneller als die NHL und die NHL kopiert uns?
Danke an dieser Stelle an Jonathan Willis von "the Athletic" für seinen Input.
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