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Igor Larionov, er war das Hirn, der Professor des Superblocks. Er hat nach der Öffnung – zu der er Wesentliches beigetragen hat – erfolgreich in der NHL bei den Vancouver Canucks, den San Jose Sharks und den Detroit Red Wings gespielt. Sein Palmares als Spieler ist unvergleichlich: 2 Olympische Goldmedaillen, 4 Weltmeistertitel und 3 Stanley-Cup-Siege. Nicht zu vergessen der legendäre 8-1 Finalsieg gegen Kanada am Kanada-Cup 1981 im Montreal Forum. Hinzu kommen viele Titel in der heimischen Liga.
Später wurde er Spieler-Agent und Weinproduzent; als Spieler war er u.a. bekannt dafür, dass er vor den Spielen jeweils ein Glas Rotwein getrunken hat, dies vielleicht als Brückenschlag zu seinem späteren Business. Im Gegenzug hat er sich geweigert, sich jeweils vor den Weltmeisterschaften eine undefinierte Spritze setzen zu lassen.
An den Youth Olympics war er Delegierter des Russischen Verbandes mit der Aufgabe, den Stand der Juniorenentwicklung zu evaluieren. Es begab sich, dass Igor Larionov im Halbfinale gegen Finnland im selben Stadionsektor auftauchte wie ich und nach einigem Zögern habe ich ihn gefragt, ob ich ihn fotografieren darf. Ich fühlte mich in die Teenagerzeit zurückversetzt, ich mutierte für kurze Zeit vom Scout zum Fan. Igor Larionov ist eine sehr freundliche, aufgeschlossene Persönlichkeit, selbstverständlich durfte ich ihn fotografieren. Die Russen fegten in der Folge die Finnen im Halbfinale vom Eis und standen somit am Tag danach im Finale.
Am Finaltag bin ich wie immer frühzeitig im Stadion erschienen, weil mich vor allem bei Spielern, die ich noch nicht gut kenne – und diese 16-jährigen Russen, Kanadier, Finnen, US-Amerikaner kannte ich noch nicht so gut –, auch das Warmup interessiert. Die Plätze waren auch in diesem speziellen Sektor nicht zugewiesen, so ganz nach dem Motto: “Dä Schnäller isch dä Gschwinder”.
Ich setzte mich demnach auf meinen Lieblingsplatz und bereitete das Spiel aus Scoutingsicht vor. Das Stadion und dieser Spezialsektor haben sich dann nach und nach gefüllt und ich staunte nicht schlecht, als sich mir plötzlich Larionov näherte und fragte, ob der Sitz neben mir noch frei sei. Ich habe mich dann kurz vorgestellt – er wusste aber alles über Central Scouting – und ich habe ihn gefragt, in welcher Mission er unterwegs sei. Wie weiter oben erwähnt war er Talentbeurteiler für sein Russisches Team.
Die Halle war bereits prall gefüllt als plötzlich Vladimir Tretjak auftauchte, die grösste Goaliepersönlichkeit in der Russischen Eishockeygeschichte. Selbstverständlich habe ich Larionov angeboten, dass Tretjak meinen Platz einnehmen könne, der wollte davon allerdings nichts wissen und somit verbrachte ich das gesamte Goldmedaillenspiel neben Igor Larionov… und er war sehr gesprächig und auch neugierig. Selbstverständlich wollte ich alles wissen über den neuen Stern am Russischen Eishockeyhimmel, Matvej Michkov, und er hat bereitwillig Auskunft erteilt (siehe letztwöchige Kolumne).
Er ist angetan vom Russischen Jahrgang 2004, relativierte seine Meinung aber etwas durch die Unsicherheit, ob die USA wirklich mit den besten zur Verfügung stehenden Spielern in diesem Jahrgang angetreten sei. Ich konnte ihn beruhigen, denn gemäss meinem – allerdings noch relativ dünnen – Wissensstand war die Crème de la Crème der US-Amerikaner an Bord, auch die Kanadier und Finnen sind mit dem vermeintlich bestmöglichen Aufgebot angereist mit einer einzigen Ausnahme: Der Kanadier Shane Wright hat es vorgezogen, in der OHL weiterzuspielen, er geniesst dort den “Exceptional” Status und darf als noch zu junger Spieler trotzdem bereits in der OHL seine Künste zeigen, weil er derart gut ist.
Larionov war angetan von den läuferischen Qualitäten der US-Amerikaner und der Mobilität. Jetzt aber zum Russischen Eishockey. Meine Frage nach der Zukunft im Russischen Eishockey hat er zu meiner grossen Freude wie folgt beantwortet: Wir respektieren das nordamerikanische Eishockey sehr, aber wir sind selbstbewusst genug, unsere Hockeykultur weiter zu pflegen. Wir wollen auch in Zukunft das schöne Spiel pflegen, im Fussball sagen die Brasilianer “O Jogo Bonito”, diese vielleicht etwas romantische Art des Fussballs und des Eishockeys… mir würde das Herz bluten, wenn dies nur noch ein Relikt aus der Vergangenheit sein würde.
Die Russen setzen demnach weiter auf Skills, Skills, Skills…viel System konnte ich bei dieser Russischen Youth Olympics-Auswahl nicht erkennen, es ging einfach immer vorwärts und das Ziel der Russen ist es, mit überlegenen Skills die Spiele zu gewinnen. Wunderschön, ihrem trickreichen Kombinationsspiel zuzuschauen.
Während des Finals hat Larionov auch immer wieder das direkte Geschehen auf dem Eis kommentiert. Z.B. hat Matvej Michkov zweimal bei einem Breakaway nicht reüssiert, erhielt aber von Larionov trotzdem Lob… weil die Moves seiner Meinung nach sehr gut waren; er kann offensichtlich zwischen der Erfolgswahrscheinlichkeit und dem realen Resultat bei einer Aktion gut differenzieren, so wie es sich für einen Professor gehört.
Meine Frage, wieso Russland in jüngster Zeit derart viele gute junge Goalies produziert, konnte – oder wollte – er nicht beantworten. Die Goalieposition war nach dem Rücktritt von Tretjak bis vor wenigen Jahren meistens eine Schwachstelle im Russischen Eishockey, doch aktuell spriessen die russischen Topgoalies wie Pilze aus dem Boden, das ist eindrücklich und ich suche Antworten.
Am Ende bei der Siegerzeremonie zeigte sich Igor Larionov sichtlich gerührt, er war sehr angetan von der eindrücklichen Leistung seiner Jungs. Das Sahnehäubchen lieferte ihm der kleingewachsene Vyacheslav Malov. Der Professor hat mir genüsslich erzählt, dass er diesen Spieler dem Coach aufgezwungen habe, Malov sei zwar klein aber sehr smart und “jetzt siehst Du? Er hat eingenetzt.” Das Auge des Professors.
Thomas Roost ist seit 1996 NHL-Scout für den zur NHL gehörenden Central Scouting Service und seit 2010 Scout für den EHC Biel. Hauptberuflich ist er als CHRO und Mitglied der Konzernleitung in einer internationalen Touristikfirma mit weltweit 1500 Mitarbeitenden tätig. Thomas leistet sich eine eigene Meinung und freut sich immer sehr über Reaktionen zu seinen Beiträgen die zur Diskussion Anlass geben sollen. Er pflegt auch mit viel Spass seinen Twitter-Account @thomasroost.