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Es dürfte die ereignisreichste Saison seiner Karriere bleiben, die Spielzeit 2022/23. Toms Andersons träumte gemeinsam mit dem HC La Chaux-de-Fonds vom Aufstieg in die National League. Selbst hatte er grossen Anteil am Erfolg der Neuenburger, mit 18 Toren und 47 Assists krönte er sich zum Ligatopscorer der Regular Season. Auch in den Playoffs und der Ligaqualifikation scorte der Lette munter weiter, insgesamt kamen 94 Torbeteiligungen in 64 Spielen zusammen. Gelungen ist der Aufstieg bekanntlich nicht, in der Ligaqualifikation unterlagen die Chaux-de-Fonniers dem HC Ajoie mit 2:4 in der Serie. Für Andersons war die Saison allerdings noch nicht zu Ende. An der Weltmeisterschaft gelang im Viertelfinale gegen Schweden ein grosser Coup und mit dem Sieg in der Overtime im Bronzespiel gegen die USA war die lettische Hockeysensation perfekt.
Andersons war Teil des Bronze-Teams und stand in jedem WM-Spiel auf dem Eis. Zugegeben wurde die Eiszeit im Turnierverlauf stetig weniger, das dürfte am Ende aber keinen interessieren. Mit einer grossen Willensleistung schaffte Lettland die Sensation und Andersons und seine Teamkollegen wurden über Nacht zum Volkshelden. Zurück in Lettland wurden sie gefeiert, das Parlament sorgte gar zu Ehren der Nationalmannschaft für einen freien Tag. Im Interview mit dem Hockeymagazin Slapshot sprach der rechte Flügelstürmer darüber, was diese Bronzemedaille für sein Heimatland bedeutet.
"Diese Medaille verändert alles. Es werden viel mehr Kinder mit Eishockey beginnen. Ich habe von Trainern gehört, dass es in einigen Klubs schon kurz nach der WM über 50 Neueintritte gab. Wir haben Emotionen ausgelöst, diese Welle gilt es nun zu nutzen. Ich bin sicher: In 15 Jahren wird es in Lettland deutlich mehr Eishockeyspieler geben als heute. Und die Sportart wird im Land wieder die unbestrittene Nummer 1 sein."
Toms Andersons, Slapshot Nr. 1 (September/Oktober 2023)
Das lettische Hockey-Konstrukt steht allerdings auf etwas instabilen Beinen, denn der baltische Staat ist darauf angewiesen, dass ihre Spieler im Ausland unterkommen und dort eine gute Ausbildung erhalten. Das hat auch Toms Andersons nicht anders getan. Harijs Vitolins brachte den Stürmer einst in die Schweiz zu den Pikes Oberthurgau. Der Kontakt zu Vitolins kam eher zufällig zustande, sein Vater habe ihn als Arzt operiert, erklärte Andersons gegenüber Slapshot. In der Schweiz fiel sein Können früh auf. Der SC Bern holte den lettischen Rechtsaussen 2011 in die U20, nach zwei Jahren ging es für Andersons allerdings zurück in den Thurgau. Dort schaffte er den Schritt ins Profi-Eishockey und mittels Leihe spielte er 2017/18 im Abstiegskampf erstmals für die SCL Tigers. Zwischen 2019 und 2021 stand er dann in Langnau unter Vertrag, in 91 Einsätzen gelangen ihm aber nur fünf Tore. Der Wechsel weg aus der Heimat legt Andersons auch anderen jungen Letten ans Herz.
"Da gibt es keine zwei Meinungen. Die Infrastruktur ist zu wenig gut, zudem funktioniert der Übergang von den Junioren zu den Profis nicht. Das Niveau der höchsten Spielklasse ist vergleichbar mit der MyHockey-League, der Mindestlohn beträgt gerade mal 900 Franken. Wer also ein wenig Talent hat, geht früh nach Schweden, in die Schweiz oder in die USA in ein College. Ich weiss nicht, wann letztmals ein Spieler aus der heimischen Liga im Nationalteam dabei war."
Toms Andersons, Slapshot Nr. 1 (September/Oktober 2023)
Andersons hat 31 Einsätze mit dem lettischen Nationalteam absolviert, die WM-Teilnahme im letzten Jahr war allerdings eine Premiere für ihn. Davor war er 2022 in Peking bereits Teil des Olympiateams. Geschafft hatte er diesen Schritt innerhalb des Nationalteams ausgerechnet durch die Rückkehr in die Swiss League und den Transfer zum HC La Chaux-de-Fonds. Andersons besitzt durch seine langjährige Ausbildung hierzulande eine Schweizer Lizenz und geniesst wie einige Landsmänner einen gewissen Sonderstatus. Gemeinsam mit ihm bei den Pikes Oberthurgau angefangen hat beispielsweise Ivars Punnenovs. Ab 2026 werden diese Schweizer Lizenzen für lettische Spieler, die hierzulande ausgebildet wurden, aber nur noch bis zum Alter von 23 Jahre gelten. Andersons beäugt das kritisch, er geht davon aus, dass künftig deutlich weniger Landsleute den Weg in die Schweiz einschlagen würden.
Er verdanke dieser Lizenz extrem viel, liess ich die Offensivkraft des HC La Chaux-de-Fonds zitieren. Er hätte vielleicht ohne diesen Sonderstatus längst mit dem Eishockey aufgehört. Noch steht er aber auf dem Eis und der HCC hat dasselbe Ziel wie im Vorjahr, der Aufstieg soll gelingen. In den ersten 13 Einsätzen der Saison sind Andersons schon wieder 14 Torbeteiligungen gelungen, erneut ist er der Topscorer seiner Mannschaft. Mit dem mitgebrachten Leistungsausweis der letzten Saison erstaunt es doch ein wenig, dass Andersons weiterhin in der Swiss League auf dem Eis steht, das Interesse am 29-Jährigen aus der National League war im Sommer schlichtweg nicht da.
"Weil ich kein einziges Angebot erhielt. Ganz ehrlich, ich war schon ziemlich überrascht und enttäuscht. Was hätte ich denn noch alles tun müssen? Offenbar trauen mir die wichtigen Leute zu wenig zu, weil ich in meinen zwei Jahren in Langnau nur fünf Tore erzeilt habe. Aber damals bekam ich kaum Eiszeit, war oft 13. Stürmer - die Trainer setzten nicht auf mich. In La Chaux-de-Fonds bin ich glücklich und wir waren ja auch nahe dran am Aufstieg. Die National League bleibt mein Ziel, doch ich bin bald 30, vielleicht kommt die Chance nicht mehr. Und dank meines Fernstudiums in Wirtschaft und Psychologie bin ich gut auf die Zukunft vorbereitet."
Toms Andersons, Slapshot Nr. 1 (September/Oktober 2023)
Die National League als Ziel hat es Andersons auf dem sportlichen Weg mit dem HC La Chaux-de-Fonds gewissermassen in der eigenen Hand. Der Weg zum Aufstieg ist allerdings ein unfassbar weiter. Aber vielleicht gelingt es ihm ja auch, trotz Vertrag bis 2026 sich für einen Wechsel ins Schweizer Oberhaus empfehlen. Schliesslich dürfte Andersons nach eigenen Einschätzungen dort zu einer lettischen Fraktion gehören, welche es mit der weiteren Anpassung der Importregelung vielleicht bald nicht mehr in dieser Grösse geben wird.